Freitag | 19. April 2024
 
Kurz notiert in Wülfrath  | 

Leserbrief | Ein toxisches Rechtsverständnis

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In einem Leserbrief kritisiert Bruno Rosen das Rechtsverständnis aus Reihen der CDU und deren Versuch, das Einzelhandels- und Zentrenkonzept „zu massakrieren“.

„Man muss auch mal loben: Unter der straffen Leitung der Bürgermeisterin versuchten Mitglieder des Rats ansatzweise, sich akustisch und stilistisch disziplinierter zu verhalten als beim Haupt- und Finanzausschuss in der letzten Woche. Da die Berichte über selbigen inzwischen viral gegangen sind, muss man sich allerdings Gedanken machen, wie die Verwaltung der Stadt Wülfrath sich überregional wieder als interessanter Arbeitgeber positionieren kann. Denn wenn eine Amtsleitung „Stadtplanung“ in Wülfrath (Bericht TME vom 9.9.2020) offensichtlich inzwischen so unattraktiv ist, sollten sich CDU und Grüne überlegen, ob ihr Umgang mit den Menschen in der Verwaltung unsere Stadtverwaltung weiterhin zu einem attraktiven Arbeitgeber macht.

Ein Tagesordnungspunkt war die Verabschiedung des Einzelhandelskonzepts von 2019. Der Vortrag des CDU Fraktionsvorsitzenden Effert, der „ein neues Denken für neue Einzelhandelskonzepte“ forderte – sekundiert von den Grünen – hat kaum das Wohl der Stadt und im Besonderen der Ellenbeek vor Augen, sondern nur das des Eigentümers des Gebäudes Liegnitzer Straße. Daher wollte Herr Effert – leicht durchschaubar – die Abstimmung in die nächste Wahlperiode schieben. Warum wohl? Mit der Hoffnung der CDU und Grünen auf eine neue Ratsmehrheit nach der Wahl, hätten sie das Konzept dann massakriert. Weder der eindeutige Sachvortrag des Dezernenten Dr. Holl, der auf das Klagerecht der Betreiber innerstädtischer Märkte hinwies, noch der Hinweis von Herrn Welp (SPD) auf die Ausgewogenheit des im ASW verabschiedeten Vorhabens ( bis 1000 m² Verkaufsfläche + 200 m² Getränkemarkt), konnten an der CDU-Haltung etwas ändern. Einwohner der Ellenbeek, Verwaltung und zahlreiche Ratsmitglieder sind sich einig, dass ein „Nahversorger“ und kein „Vollversorger“ für die Ellenbeek gefunden werden soll. Die Grünen enthielten sich, die CDU war dagegen. So setzt man Signale für die Nachwahlzeit. Die Mehrheit verabschiedete das Einzelhandelskonzept.

Ein weiterer Punkt war der CDU „Noch-schnell-vor-der-Wahl-Antrag“ auf Erstattung von Kitagebühren bei amtsärztlich angeordneter Quarantäne einer Kitagruppe oder einer gesamten Kita. Natürlich ist zu hoffen, dass das Ergebnis (TME 10.9.20) für die Betroffenen gut auskommt. Aber wie kam es zum Ratsbeschluss? Die Verwaltung hatte bereits im HFA vorgetragen, dass nach Rechtsauffassung der Kreisverwaltung und des Rechnungsprüfungsamts eine Erstattung von Elternbeiträgen für die Zeitdauer der Schließung einer Einrichtung derzeit nur möglich sei, wenn eine Gegenfinanzierung  innerhalb des städtischen Haushalts vorgenommen würde. Ob diese Kosten über ein noch zu erlassendes Landesgesetz später eine (Teil-)Erstattung erfolgen wird oder diese über das bestehende Gesetz der „Corona-bedingten Abschreibung von Mehraufwand über 50 Jahre“ die Lasten auf unsere Enkel verschoben werden können, ist derzeit  Spekulation. Herr Sträßer zauberte nun ein Statement aus dem Hut, dass „ nach seinen eigenen Recherchen eine nicht genannt werden wollende Kreisstadt“ diese Erstattung anders handhaben würde, und man solle doch „nicht auf die Kreisverwaltung hören, die bewege sich ja nur auf dem Boden geltenden Rechts“. Zwei Dinge – eine erneute Beleidigung der korrekten Arbeit der Verwaltung, die nach Art. 20, Abs. 3 GG auch in diesem Fall  die „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“ (Vorrang des Gesetzes) praktiziert – übrigens zur Beruhigung von uns Bürgern/Innen und andererseits Fassungslosigkeit beim geneigten Zuhörer. Da wirft ein Rechtsanwalt der Verwaltung vor, sie bewege sich auf dem Boden bestehenden Rechts.

Was denkt sich Rechtsanwalt Sträßer dabei? Wen möchte er damit ansprechen? Soll die Verwaltung auf der Basis von „Wild-West“ operieren? Mir drängt sich der Verdacht auf, dass die CDU kurz vor der Wahl mit ihrem toxischen Rechtsverständnis extrem populistisch unterwegs ist, Rechtsauffassungen, die ich eigentlich bei Menschen verorte, die für den Rechtsstaat keine Wertschätzung erübrigen.

Diese Äußerung passt übrigens sehr gut zu dem ziemlich schrägen Verständnis von Herrn Seidler zur Gewaltenteilung in unserem Rechtssystem. In einem von TME durchgeführten Videochat mit den vier BM Kandidaten (TME 5.8.2020), versucht Herr Seidler plausibel zu machen (Minuten 14:15-17:05), dass Land bzw. Kreis Zahlungen an reiche Kommunen wie Monheim aussetzen sollten und dann über die Klage der Kommunen „Rechtssicherheit“ aufgrund eines Gerichtsurteils entstünde. Diese Einlassungen sind etwas schwierig zu verstehen, vermutlich weil Herr Seidler sie selbst nicht durchdrungen hat. Ein Gericht würde nur sagen, haltet Euch an das Gesetz. Die zwischenzeitliche Erläuterung der Rechtslage durch Herrn Ritsche half ihm auch nicht weiter. Herr Seidler, auch wenn Sie – wie Sie im Chat sagen- „mal Wege gehen wollen, die weh tun..“, Gesetze werden immer noch von der Legislative gemacht. Würden Sie mit solchem Rechtsverständnis tatsächlich Bürgermeister, und würden Sie dann Verwaltungsmitarbeiter/innen anweisen, so – wie die CDU derzeit in ihrer Rechtsauffassung drauf ist – gesetzesbeugend oder  -widrig zu handeln, was wären die Folgen  für uns Bürger/Innen? Gäbe es dazu noch eine CDU/Grüne Ratsmehrheit, dann müssten wir wohl jeden Gebührenbescheid, jeden Beschluss oder jede Verordnung rechtlich überprüfen, gemäß Ihrem Prinzip, lass die Bürger mal klagen. Dies ist absurdes Theater.

Übrigens war Herr Seidler in dem Chat (Minute 14:00) – unter den Bedingungen von Corona – noch für eine Erhöhung der Grundsteuer, jetzt am 5.9.2020 (TME Fragen an die Kandidaten) – 7 Tage vor der Wahl und immer noch unter den Bedingungen von Corona – dagegen.

Lange hat vornehmlich die CDU vor dieser Wahl versucht, einen politischen Diskurs über unterschiedliche Zielsetzungen der Parteien für diese Stadt zu verhindern. Durch ihr eigenes indiskutables Auftreten vor allem gegenüber der Verwaltung haben CDU und Grüne ihre Absichten dann doch offengelegt. Wülfrath soll keine Bürgerstadt sein, die mittels einer adäquat ausgestatteten Verwaltung und motivierter Bürger/Innen ihre eigenen Ziele bestimmt und auch umsetzt. Wülfrath soll eine passive Schlafstadt sein und Betätigungsfeld für Klientel, vornehmlich ein Ort zur Erfüllung wirtschaftlicher Interessen von externen „Investoren“ ohne Wert für diese Stadt. Es geht um Macht, um sie für Parteiinteressen einzusetzen: Partei vor Staat – nicht nur belegbar in Berlin, sondern auch in Wülfrath. Diese Legitimierung sollten wir CDU, Grünen und ihren Kandidaten versagen.“


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