Montag | 29. April 2024
 
Kurz notiert im Neanderland  | 

Leserbrief | Schulsystem: „Es wurde leider immer schlimmer“

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Corona und Schule: Eine TME-Leserin sieht das aktuelle Vorgehen in der NRW-Bildungspolitik kritisch, wie sie in einem offenen Brief schreibt:

„Sehr geehrte Frau Ministerin Gebauer,
sehr geehrte Damen und Herren der Bezirksregierung Düsseldorf in CC,

heute möchte ich Ihnen persönlich mitteilen, dass ich mit dem aktuellen Vorgehen der Bildungspolitik in NRW nicht einverstanden bin! Sie sollen wissen, dass hinter den Forderungen der Lehrer- und Elternverbände viele einzelne Eltern und Lehrkräfte stehen. Aus diesem Grund füge ich den Offenen Brief bzw. die Petition ‚Sicherheit für Bildung/ Betreuung in der Pandemie‘ des Zusammenschlusses ‚Sicherheit für Bildung in der Pandemie‘ vom 13.10.2020 meinem Brief an, den ich voll unterstütze. Sie kennen all die Forderungen. Warum sind die meisten Forderungen aus Ihrer Sicht nicht umsetzbar?

Bereits seit einigen Jahren bin ich fassungslos über den eklatanten Lehrkräftemangel in unserem Schulsystem. Allein unseren Kindern zuzuhören, was sie im Schulalltag erleben, ist unfassbar. Jedes Jahr hoffte ich, dass es besser wird. Es wurde leider immer schlimmer. Seit Jahren fallen unglaublich viele Unterrichtsstunden aus! Diese zahlreichen Stunden, die unseren Kindern an Bildung genommen werden, sind Lebenszeit, die sie hätten sinnvoll verbringen können! Zumeist sitzen sie stattdessen dann im Schulbetrieb ihre Zeit ab. Was meinen Sie, was die Schülerinnen und Schülern (SuS) daraus lernen?

Aus meiner Sicht hat der steigende Mangel an Lehrkräften in der Corona-Pandemie dazu geführt, dass so gut wie keine Bildung mehr an der Schule stattfindet, sondern nur noch eine „Aufbewahrung“ – unter prekären Bedingungen.

Von Tag zu Tag begreife ich weniger, warum unsere Bildungspolitik in dieser Weise um den Erhalt des Status quo im Bildungssystem kämpft, anstatt sich vom Althergebrachten zu trennen und einen innovativen, zielorientierten und vernünftigen Weg zu gehen.

Von den zahlreichen Forderungen und Ideen, die die KMK und Sie erhalten haben (wie z. B. der o.g. Offene Brief), haben Sie in NRW immerhin das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes (MNS) verbindlich eingeführt. Gewünscht hatten wir uns diese Vorgabe der Landesregierung bereits im Frühjahr (spätestens nach Ostern). Es wäre so viel mehr erforderlich und möglich!! Warum können die Klassen nicht verkleinert werden? Warum kann kein rollierender Unterricht bzw. Unterricht im Schichtbetrieb erteilt werden?

Unsere Kinder benötigen kein eigenständiges Lesen von Texten auf fast unlesbaren Kopien unter der Aufsicht von fachfremden Vertretungslehrkräften (, weil die Fachlehrkraft zur Risikogruppe gehört und nicht in der Schule ist,) in viel zu kleinen Unterrichtsräumen mit 30 SuS! Von Digitalisierung oder Ideenreichtum keine Spur!

Wie soll ich unseren Kindern erklären, dass in Australien bereits im Jahr 1960 die erste ‚School of the Air‘ startete, die Fernunterricht ermöglichte, aber bei uns in Deutschland die SuS im Jahr 2020 trotz Corona-Pandemie in viel zu kleinen Unterrichtsräumen in viel zu großen Klassengemeinschaften (im Herbst mit Lüften-Lüften-Lüften!) lernen müssen?

Die Hin- und Rückfahrt zur Schule erfolgt in Bussen, in denen niemand auf die Einhaltung des MNS achtet! Diese Situation ist unerklärlich und fahrlässig! Wir als Eltern schicken unsere Kinder in eine Ganztagsschule, in der die häufigste Unterrichtsstunde ‚ENTFALL‘ heißt. Wofür bitte sollen unsere Kinder unter diesen Rahmenbedingungen in die Schule kommen? Was sollen unsere Kinder so lernen?

Warum werden die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (s. Stufenplan) in NRW nicht umgesetzt? Warum werden individuelle, praktische Lösungen nicht ermöglicht? Auf fast jede Frage bzw. Idee gibt es eine Antwort, warum es NICHT geht!

Wir brauchen ein anwenderfreundliches, schnelles und zuverlässiges digitales System. Wenn dies, wie in NRW, aber noch so weit entfernt ist, dann müssen die Klassengruppen eben geteilt oder gevierteilt werden und der Präsenzunterricht muss rollierend stattfinden. Wir brauchen eine Mischung von Distanz- und Präsenzlehre oder bei noch schlechteren Infektionszahlen wieder Distanzunterricht! Es geht um den Schutz der Gesundheit der Lehrkräfte, SuS samt Familien!

Wir benötigen mehr Lehrkräfte, aber das wissen wir ja seit Jahren. Solange wir diese aber nicht haben, muss die Bildungspolitik kreativer werden und viel mehr Formen des Fernunterrichts ermöglichen. Da die Digitalisierung in NRW verschlafen wurde, kann der Unterricht zur Not doch auch über den Rundfunk abgedeckt werden. Warum denn nicht? Andere Länder machen es uns doch vor: In Kenia findet ein ‚Out of Classroom Learning‘ im Radio und Fernsehen statt. Das ist besser als das Nicht-Lernen (‚Entfall‘) und Absitzen von Zeit in kleinen (und bald sehr kalten und nassen) Klassenräumen mit 30 SuS! Es ist nicht zu verstehen und nicht zu erklären!!

Ich persönlich bin bestürzt über das Bildungssystem 2020 in einer Pandemie im Bundesland NRW – wie es meine Kinder kennenlernen bzw. durchleiden müssen!

Dieser ‚Offenen Brief‘ geht in CC auch an die Bezirksregierung Düsseldorf, damit dort die Verteilung der Lehrkräfte an die Gesamtschulen in NRW nach Pensionierungen sowie Krankmeldungen der Lehrkräfte wegen Risikoerkrankungen sowie Schwangerschaft überprüft wird. Inwiefern wurden Stellen zugunsten der Gymnasien wegen der Umstellung auf G9zum Schuljahr 2019/2020 vorzugsweise dorthin gegeben, so dass es zu besonders prekären Situationen in den Gesamtschulen kam?“

Dr. Christiane Krüger aus Velbert


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