Sonntag | 28. April 2024
 
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Neanderland  | 

Systemrelevant? Oder: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“

Von

Gedankensplitter eines Seelsorgers zu Karfreitag in der Pandemie.

Pfarrer Jürgen Draht und Guido Boes.

In Krisenzeiten wurde schon immer gefragt: Was ist das Wesentliche und worauf muss verzichtet werden?

Die Pandemie mit über 70.000 an Covid19 Verstorbenen in Deutschland fordert die Gesellschaft heraus, stellt Fragen, verlangt Antworten. Die entscheidenden oder besser die unterscheidenden Fragen sind: Wer oder was ist systemrelevant? Wer hat Priorität? Es sind sowohl effiziente wie ethisch begründete Antworten gefordert.

Und dann sind da noch diejenigen, welche die Fragen stellen. 2,56 Millionen Tote weltweit. Das bevorstehende Osterfest erinnert an den Tod eines einzelnen Menschen, Jesus von Nazareth, hingerichtet an einem Kreuz vor rund 2000 Jahren. Da wird diese Szene berichtet, dass Jesus, bereits am Kreuz hängend seine Mutter und den Jünger, den er liebte,  ansieht und zu seiner Mutter spricht: „Siehe Frau, das ist dein Sohn.“ Und zu dem Jünger sagt er: „Siehe, das ist deine Mutter.“ (Joh 19)

Jesus veranlasst die Beiden füreinander da zu sein, sich gegenseitig zu unterstützen.

Wenn der Mensch dem Menschen zum Mitmenschen wird, geschieht etwas grundlegend Veränderndes: der Mensch wird ein anderer. Und das zeigt sich besonders in den Extremsituationen des Lebens. Diese Erfahrung habe ich in meiner Rolle als Seelsorger immer wieder gemacht.

Seit Monaten strengen sich Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger, Retterinnen und Retter und viele andere sogenannte Heldinnen und Helden des Alltags an, zu heilen, zu helfen oder zu unterstützen. Und auch unsere Politikerinnen und Beamtinnen und Lebensmittelkassiererinnen bemühen sich, in dieser Krise soviel Normalität und Hilfe wie möglich zu schaffen.

In Bergamo, Italien, verstarben im März vergangenen Jahres auch sechs Priester, weil sie den erkrankten Menschen zu nahe kamen. Wie viele andere auch, näherten sie sich ungeschützt den Patienten. Nachträglich erscheint ihr Handeln naiv und sinnlos. Sie wollten den Sterbenden helfen, vielleicht Hoffnung vermitteln, vielleicht nah sein. Vielleicht wollten sie auch einfach nur ihre Aufgabe erfüllen: „Siehe da ist dein Mitmensch,“ wie Jesus es angeboten hat.

Das überlieferte Geschehen von Karfreitag und dem gestorbenen Jesus ist mehr als eine traurige bis tröstende Geschichte. Es endet nicht an dieser Stelle. Das Markusevangelium erzählt in der Ostergeschichte: Das Grab war leer. Berichtet wird ein für das menschliche Auge unsichtbares Geschehen: Gott macht lebendig.

Jesus Christus sagt seinen Jüngern in seiner Abschiedsrede: Ich lebe und ihr sollt auch leben, (Joh 14).  An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch. Ob Kirche systemrelevant ist, vermag ich nicht zu beantworten aber es geht im Leben um mehr als um das System. Und es geht um mehr, als ums Überleben.

Es geht um das Leben selbst. Das Leben ist in uns.

Wir wünschen allen ein gesegnetes Osterfest

Jürgen Draht, Pfarrer; Guido Boes, Koordinatoren
Ökumenische Notfallseelsorge im Kreis Mettmann

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