Samstag | 27. April 2024
 
Mettmann  | 

Die erste Zerreißprobe für den neuen Stadtrat

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Am morgigen Dienstag soll in einer Sonderratssitzung das Gründungsverfahren für die Gesamtschule eingeleitet werden. Sollte der Rat dies nicht beschließen, müsste Bürgermeisterin Sandra Pietschmann dieses aus Sicht der Verwaltung formal beanstanden.

Die Carl-Fuhlrott-Realschule. Foto: Archiv TME

Einigen mag das Thema Gesamtschule mittlerweile aus den Ohren heraushängen. Doch umhin kommt man dieser Tage – um genau zu sein, einen Tag vor der Sonderratssitzung zu diesem Thema – nicht. Nach der Elternbefragung, bei der die Eltern der Dritt- und Viertklässler ein klares Votum für eine Gesamtschule abgegeben hatten, schien klar, dass als nächster Schritt nun das entsprechende Beantragungsverfahren bei der Bezirksregierung eingeleitet wird. Angedacht war, dass zunächst der Schulausschuss ein entsprechendes Votum abgibt, dann der Rat in der konstituierenden Sitzung am 3. November final beschließt. Doch das Thema wurde zunächst im Schulausschuss vertagt, dann auch in der konstituierenden Ratssitzung. In den letzten Tagen wurden auch in den Taeglich.ME-Leserkommentaren die unterschiedlichen Meinungen und Ansichten zu diesem Thema ausgetauscht, Kommunalpolitiker der Fraktionen, die sich nicht klar pro Gesamtschule positioniert haben, berichteten von persönlichen Angriffen seitens einiger Eltern und einem so rauen Ton, wie man ihn seit der Fällung der Blutbuche (2007/2008) nicht mehr erlebt habe.

Keine guten Voraussetzungen also vor der morgigen Sonderratssitzung, die somit zu einer ersten Zerreißprobe für den neu gewählten Rat werden dürfte – mittendrin die ebenfalls neu gewählte Bürgermeisterin Sandra Pietschmann, die sich ihre ersten Arbeitstage im Rathaus vielleicht etwas anders vorgestellt haben mag.

Die zentrale Frage, um die sich im Vorfeld alles dreht: Kann der Rat nach der verbindlichen Elternbefragung die Einleitung des Beantragungsverfahrens überhaupt noch ablehnen – oder ist er verpflichtet, zuzustimmen. Solche Entscheidungen, in denen zwar formal abgestimmt wird, es eigentlich gar keinen Entscheidungsspielraum mehr gibt, weil übergeordnete Gesetze und/oder Gerichtsurteile etwas vorgeben, gibt es immer wieder mal. Eine ebenso wichtige Frage am morgigen Dienstag ist aber auch: Mit welcher Zügigkeit soll eine Gesamtschule beantragt werden? Nach aktuellem Stand sind vier Züge geplant, nun zeigt der jüngst vorgelegte Schulentwicklungsplan jedoch eine massiv ansteigende Schülerzahl und eine klare Präferenz der Eltern für eine Gesamtschule auf. In den Spitzenjahren könnten laut diesem Plan neun Züge an der Gesamtschule gebildet werden.

Stadtverwaltung gibt rechtliche Einschätzung ab

Im Vorfeld der Ratssitzung hatte die Fraktion „Die Linke – Mettmanner Liste“ noch einmal ein klares Statement der Verwaltung eingefordert: „Ist die Stadt Mettmann als Schulträger, nachdem die verbindliche Elternbefragung den sehr deutlichen Willen für eine Gesamtschule bekundet hat, verpflichtet, den Antrag zur Errichtung einer Gesamtschule bis Ende November bei der Bezirksregierung Düsseldorf einzureichen?“, wollten die Linken wissen. Die Antwort des zuständigen Dezernenten Marko Sucic: „Die zuständige Mitarbeiterin der Organisationseinheit Schulrecht im Dezernat der Bezirksregierung hat darauf hingewiesen, dass bei erfolgreichem Durchlauf der verbindlichen Elternbefragung der weitere Fortgang im Verfahren dann grundsätzlich nicht mehr Ermessen beinhaltet, sondern gebundene Verwaltung, d.h. die weiteren Schritte im Rahmen der Beantragung zur Errichtung eine Gesamtschule müssen eingeleitet werden. Diese Rechtsauffassung ist kürzlich noch einmal sehr dezidiert von der Leiterin des zuständigen Dezernates der Bezirksregierung schriftlich (via Mail) bekräftigt worden.“ Auf die ebenfalls gestellte Frage, welche Konsequenzen sich ergeben würden, wenn sich eine politische Mehrheit im Rat gegen den Beschluss zur Einleitung des Beantragungsverfahrens zur Errichtung der Gesamtschule entscheiden würde, antwortet Sucic: „Der Beschluss müsste nach Auswertung der aktuell auswertbaren Informationen durch die Bürgermeisterin beanstandet werden.“

Nach Taeglich.ME-Informationen gibt es aus Reihen der Fraktionen und auch von Privatpersonen aktuell einen recht regen Austausch mit der Kommunalaufsicht in Person von Kreisdirektor Martin Richter. Zudem sollen Schreiben in Richtung Düsseldorf auf den Weg gebracht worden sein – mit der Bitte an Regierungspräsidentin Birgitta Radermacher (CDU), sich zu dem Sachverhalt – insbesondere der Verbindlichkeit nach der Elternbefragung – zu äußern.

Heute soll im Rathaus eine kurzfristig einberufene Fraktionsvorsitzendenbesprechung stattfinden, an der offenbar auch Martin Richter teilnehmen wird. Es ist davon auszugehen, dass er den Fraktionen seine Rechtsauffassung dabei verdeutlichen wird.

Stimmen-Rechnung mit einigen Unbekannten

Interessant wird es mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse im neuen Stadtrat: Dort hat die CDU 18 Sitze, die Grünen 13, die SPD 9, die FDP 7, Zur Sache 6, die AfD 3, Die Linke 2 – hinzu kommt die Stimme der Bürgermeisterin. Macht zusammen 59 Stimmen – eine Mehrheit gibt es demnach ab 30 Stimmen, wenn denn alle Ratsmitglieder anwesend sind.

Klar dafür ausgesprochen, die Beantragung im Rat auf den Weg zu bringen, haben sich die Grünen, die SPD und die Linke. Macht zusammen 24 Stimmen. Da davon auszugehen ist, dass die Bürgermeisterin nicht so abstimmt, dass sie nach der Sitzung den Beschluss beanstanden muss, ist ihre Stimme wohl hinzuzuzählen – also 25.

Die FDP hatte zumindest im Schulausschuss Ende Oktober ausgeführt: „Für die FDP Mettmann ist ein solides Finanzierungskonzept die grundlegende Voraussetzung, um verantwortungsvoll über Investitionen in Millionenhöhe zu entscheiden. Da ein solches Konzept bisher nicht vorliegt, sieht die FDP Mettmann keine Grundlage, der Beschlussvorlage zur Einleitung des Beantragungsverfahrens zuzustimmen.“ Die Fraktion Zur Sache! Mettmann hatte in der vergangenen Woche gehofft, dass es bei der Sitzung einen lebhaften Austausch und Antworten auf offene Fragen gebe. Die CDU hatte mitgeteilt: „Wenn am 17. November hinreichende Verwaltungsausführungen vorliegen, es einen fixen Kostendeckel gibt, die Umsetzung der Gesamtschule wie geplant 4-zügig erfolgt, wird es die Zustimmung der CDU für die Einrichtung der Gesamtschule geben können.“

Die AfD spricht sich gegen die Gesamtschul-Gründung aus: Abgesehen davon, dass wir schon infrage stellen, ob die im Schulgesetz geforderten Mindestanmeldezahlen für die ersten beiden Einschulungsjahrgänge tatsächlich erreicht werden, lehnen wir für Mettmann die einseitige Errichtung einer Gesamtschule zulasten der bestehenden Realschule ab“, schreibt Fraktionsvorsitzender Günter Pollmann. „Wir treten für ein nach Begabungen differenziertes Schulsystem ein, das dem unterschiedlichen Leistungsvermögen der Schüler gerecht wird. IBildungsgerechtigkeit erfordert nach unserer Auffassung Differenzierung, nicht Gleichmacherei. Schließlich sehen wir aber vor allem in der fehlenden Finanzkraft unserer Stadt den ausschlaggebenden Gesichtspunkt gegen die geplante Errichtung einer Gesamtschule.“

Pflicht-Bauprojekte kosten dreistelligen Millionen-Betrag

Zur morgigen Ratssitzung gibt es neues Zahlenwerk. Unter anderem hat Kämmerin Veronika Traumann aufgelistet, welche weiteren pflichtigen Bauprojekte in den kommenden Jahren anstehen. Bau der Feuer- und Rettungswache, die neue Kita Spessartstraße, die neue Kita Kita Düsselring / Wandersweg, die Erweiterung der Kita Obschwarzbach, die Erweiterung der Otfried-Preußler-Schule (OPS), die Erweiterung der Katholischen Grundschule (KGS, inkl. Sporthalle), der Umbau des Schulgebäudes Peckhauser Straße, die investive Aktualisierung der Grundschulinfrastruktur an KGS und OPS, Digitalisierungsmaßnahmen (ohne Schulen) und ein neuer Baubetriebshof / Recyclinghof schlagen mit insgesamt 66,5 Millionen Euro Investitionskosten zu Buche, die Sanierung des Hallenbades (abzüglich Fördermittel) mit knapp 5 Millionen Euro. Der Bau einer vierzügigen Gesamtschule soll, wie berichtet, 45,3 Millionen Euro kosten, die Erweiterung auf sechs Züge zusätzlich 10,5 Millionen Euro. Macht unter dem Strich Investitionen von knapp 117 Millionen Euro bei einer vierzügigen Gesamtschule und 127,5 Millionen Euro bei einer sechszügigen Gesamtschule.

Interessant ist hierbei auch der Blick, wie sich die Maßnahmen auf den so genannten Ergebnishaushalt auswirken. Dieses ist der Bereich des Haushalts, der abseits von Investitionen normalerweise ausgeglichen sein muss. Alle Projekte zusammengerechnet werden den Ergebnishaushalt mit knapp 4,4 Millionen Euro belasten. Die Gesamtschulgründung allein belastet den Ergebnishaushalt laut Kämmerin mit 783.000 Euro.

Würde die Gesamtschule nicht kommen und stattdessen die bestehende Schullandschaft erweitert (vier- bis fünfzügig) wird mit 25,3 Millionen Euro (statt 45,3 Millionen Euro mit Gesamtschule) kalkuliert. Die Gesamtinvestitionen würden somit um rund 20 Millionen Euro sinken.

Die Kämmerin stellt dar, dass die Stadt bereits jetzt ein strukturelles Defizit habe – also regelmäßig mehr Ausgaben als Einnahmen verbuche. So habe das strukturelle Defizit in den vergangenen zehn Jahren zusammengerechnet mehr als 50 Millionen Euro ergeben. Die Corona-Situation mit damit verbundenen geringeren Gewerbesteuer-Einnahmen berge zusätzliche Risiken. Unabhängig von der Gesamtschule müsse den in der mittelfristigen Finanzplanung erwarteten Fehlbeträgen begegnet werden, so Traumann. Dies sei nur durch eine „deutliche Anhebung der Steuersätze sowie eine konsequente Aufwandsminderung in freiwilligen Handlungsfeldern“ möglich.

SPD will Sparmöglichkeiten geprüft wissen

„Sicherlich bleiben wir bemüht, die Investitionen von 55 Millionen Euro (bei Sechszügigkeit) zu reduzieren“, so die SPD auf ihrer Facebookseite zum Thema Gesamtschule. Die SPD habe dazu einen Antrag vorgelegt, dass ein Fachbüro überprüfen soll, ob Recherchen der Sozialdemokraten zu alternativen Bauweisen nicht deutliche Kostenreduzierungen und Bauzeitverkürzungen ergeben können. „Wir jedenfalls sind davon überzeugt.“ Unabhängig von dieser Überprüfung hält die SPD den Vorschlag der Kämmerin, Investitionen in die Mettmanner Schullandschaft – insbesondere die Gründung einer Gesamtschule – über Steuererhöhungen zu finanzieren, angesichts der großen Bedeutung für die Bildungschancen der nächsten Generation für vertretbar. „Eine solche Steuererhöhung führt dazu, dass der Quadratmeterpreis je nach Messbescheid beispielsweise für eine Wohnung von 80 qm maximal in 2027 um etwa 6 Cent pro Quadratmeter im Monat steigt“, rechnen die Sozialdemokraten, die sich für eine Sechszügigkeit aussprechen. Der Schulentwicklungsplan ergebe eindeutig die Notwendigkeit von sechs Zügen, so die SPD, „und wir wollen nicht, dass Kinder, die im Februar 2021 angemeldet werden, wegen der Begrenzung auf vier Züge abgewiesen werden müssen.“


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